Missverständnis Innere Sicherheit

Teil 1: Die Vorstellungen des „normalen Bürgers“ über Innere Sicherheit

Wenn man den normalen Bürger auf der Straße befragt – und dafür gab ja nach jeder weiteren Amokfahrt à la Magdeburg oder jedem weiteren Messerangriff wie in Würzburg, Solingen, Mannheim oder Aschaffenburg jedesmal wieder Gelegenheit – der hört die Forderung nach verlässlichem Schutz davor, beim Einkaufen, Spazierengehen im Park oder auf dem Weihnachtsmarkt  NICHT den Hals aufgeschlitzt zu bekommen oder tot- bzw. über den Haufen gefahren zu werden.

Schutz vor weiteren Anschlägen auf Leib und Leben durch integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement?!

Sehen wir von einer Eindämmung einer weiteren Zuwanderung von Ausländern in die Sozialsysteme einmal ab, (weil es im Koalitionsvertrag in die Sektion „Migration und Integration“ fällt), so verlangt die Umsetzung dieser Forderung zumindest, dass bereits einschlägig als gewalttätig aufgefallene Personen daran gehindert werden, solche Anschläge auf das Leben und die Gesundheit anderer erneut zu begehen.

Davon ist der Koalitionsvertrag allerdings weit entfernt. Alles, was man dazu findet (Z 2642-2644) ist:

„Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotenziale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen.  Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung [durch wen??(d. Verf.] und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“

Ich überlasse es Ihrer Fantasie als Leser sich auszumalen, wie durchschlagend wirksam dieser weitere  Bürokratismus die nächsten Anschläge auf Leib und Leben verhindern wird.

Bleibt als Feststellung Nr. 1: Glaubwürdig wirksame, zeitnah umzusetzende Maßnahmen zum Schutz vor solchen Gewalttaten finden sich im Koalitionsvertrag zwischen schwarz und rot nicht.
Doch wir suchen weiter:

Schutz vor Eigentumsdelikten?!

Wie sieht es aus mit ‚Wohnungseinbruchdiebstahl‘, mit ‚Raub‘ oder mit ‚Schutzgelderpressung‘, einem Delikt, das sich inzwischen ja sogar unter Schülern breitmachen soll. Wir suchten im Koalitionsvertrag und fanden dazu: Nichts. Also jedenfalls nichts, was auf den Schutz, Opfer einer solchen Straftat zu werden, abzielen würde.

Feststellung Nr. 2: Effektiver Schutz vor Angriffen auf Leib und Leben oder das private Eigentum ist im Koalitionsvertrag nicht zu finden.

Verschärfte Strafandrohungen sollen Mordopfer u.a. besser schützen

Was wir dagegen fanden, ist eine – zugegeben etwas seltsame – Denkweise: Es steht da nämlich (Z 2917ff). dass ein ermordetes Opfer, das entweder „Frau“ ist [D ist noch nicht vorgesehen / d. Verf.], oder „Kind“ oder ein „gebrechlicher Mensch“ oder „Mensch mit Behinderungen“ durch das Unbill, ermordet worden zu sein, zumindest dafür sorgt, dass der Täter mit einer schärferen Strafe zu rechnen hat. Gleiches will man „prüfen“ für gefährliche Körperverletzung oder Raub.

Diese Vorgehensweise wird bezeichnet als „strafrechtlicher Schutz“ (Z 2918). Wir warten gespannt darauf, ob findige Geschäftsmacher bald schon Warnschilder zum Umhängen anbieten mit Aufschriften, wie „Vor Mord bedenken: Höhere Strafe droht!“

Feststellung Nr. 3: Wirksamkeit als Schutz-Instrument zweifelhaft

Die schrittweise Ausweitung polizeilicher Befugnisse

Wie ein roter Faden zieht sich eine sattsam aus den früheren Wahlperioden von Schwarz-Rot bekannte Vorgehensweise auch durch diesen Koalitionsvertrag:

Ihr Ziel ist es, der Polizei besondere Eingriffsmaßnahmen und sonstige Befugnisse zu ermöglichen, sofern der Verdacht auf eine bestimmte Straftat vorliegt.

Dazu bedarf es der folgenden zwei Schritte:

  • Schritt 1 ist die Schaffung der notwendigen Voraussetzung durch Zuordnung einer bestimmten Straftat zu einer Kategorie von Straftaten, wie „schwere Straftaten„, „besonders schwere Straftaten„, „Straftaten von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung“ oder „Verbrechen„.
  • Schritt 2 erfolgt dann ganz automatisch: Aufgrund der Einstufung zu einer solchen Kategorie hat die Polizei ganz automatisch besondere Befugnisse:

Drei Kategorien von Straftaten erweitern polizeiliche Befugnisse

In der Strafprozessordnung (StPO) gibt es daher die entsprechenden Kategorien, nämlich

  • „schwere Straftaten“ (Katalog in §100a, Abs. 2 StPO),
  • „besonders schwere Straftaten“ (Katalog in (§100b, Abs. 2 StPO)
  • „Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung“ (§100g StPO, darunter auch die „Funkzellenabfrage)

und zu jeder Kategorie lange Listen (i.d.R. jeweils in Absatz 2), welche Straftaten im Einzelnen zur jeweiligen Kategorie gehören.

Ferner gibt es im Strafgesetzbuch (§12, Abs. 1 StGB) Straftaten, die als Verbrechen eingestuft sind (welche, steht beim jeweiligen Paragraphen): Das hat zur Folge, dass eine Verurteilung aufgrund einer solchen Straftat eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr nach sich ziehen muss. Und dass die Einstufung als „Verbrechen“ eröffnet der Polizei ein ganzes Bündel von dann zulässigen Befugnissen eröffnet, wie

  • Ermittlungs-Maßnahmen, wie Durchsuchung (§§ 102, 103 StPO), Beschlagnahme (§§ 94, 98 StPO) und Observation (§ 163f StPO), sowie insbesondere
  • Maßnahmen bei der Festnahme und Vorführung: Vorläufige Festnahme (§ 127 Abs. 2 StPO), Haftbefehl (§§ 112, 114 StPO)

Erweiterte Befugnisse der Polizei schränken Grundrechte „besonders“ ein

Wenn bereits beim Verdacht des Vorliegens einer bestimmte Straftat diese eingestuft wird als „schwere Straftat“ oder „besonders schwere Straftat“ so hat dies  aufgrund der Kataloge in §§100 a bis 100c StPO automatisch zur Folge, dass der Polizei bei der Bearbeitung eines solchen Delikts besondere Befugnisse nutzen darf. Diese Befugnisse sind „besonders“, weil sie (zum Teil sehr weit) in die Grundrechte eingreifen:

§100a StPO – Telekommunikationsüberwachung: „Auch ohne Wissen der Betroffenen darf die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden… “ – bei allen „schweren Straftaten“ – eine umfangreiche Liste, nicht nur aus dem Strafgesetzbuch und der Abgabenordnung, sondern auch aus derzeit neun weiteren Gesetzen;

§100b StPO – Online-Durchsuchung: „Auch ohne Wissen des Betroffenen darf mit technischen Mitteln in ein von dem Betroffenen genutztes informationstechnisches System eingegriffen und dürfen Daten daraus erhoben werden (Online-Durchsuchung)…“ bei „besonders schweren Straftaten„;

§100c StPO – Akustische Wohnraumüberwachung: Auch ohne Wissen der Betroffenen darf das in einer Wohnung nichtöffentlich gesprochene Wort mit technischen Mitteln abgehört und aufgezeichnet werden …“ ebenfalls bei „besonders schweren Straftaten„;

§100g StPO – Erhebung von Verkehrsdaten (‚Funkzellenabfrage‘): Wenn der Verdacht vorliegt, dass eine Person „eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung“ „als Täter oder Teilnehmer“ … „begangen“ hat, … „zu begehen versucht“, … oder „durch eine Straftat vorbereitet hat …“

Der politische „Kniff“ zur Erweiterung polizeilicher Befugnisse

Schon in früheren Wahlperioden (z.B. in WP 18 und 19) hat die damalige GroKo dieses Vorgehen extensiv genutzt, um z.B. durch Einstufung des Wohnungseinbruchsdiebstahls insbesondere das Befugnis zur Funkzellenabfrage wesentlich auszuweiten. (Am Beispiel der Funkzellenabfrage dokumentieren wir die Bemühungen der CDU/CSU zur Erreichung dieses Zieles bereits seit Jahren.)

Dieses Vorgehen kommt – nach einem zeitweiligen Rückschlag bezüglich der zulässigen Beweisverwertung nach Funkzellenabfrage durch den BGH – auch im Koalitionsvertrag  der nicht mehr ganz so großen Koalition nun wieder zum Einsatz:

  • Gefährliche Körperverletzungen mittels Waffe, Messer oder „einer  das Leben gefährdenden Behandlung“ sollen künftig als Verbrechen geahndet werden. [bedeutet 1 Jahr Mindestfreiheitsstrafe]. (Z 2928 und 2929);
  • Auch für Gruppenvergewaltigungen, „insbesondere bei gemeinschaftlicher Tatbegehung“ [sic?! / d. Verf.] soll der Strafrahmen erhöht werden. (Z 2930 und 2931);
  • Für Wohnungseinbruchdiebstahl soll die Telefonüberwachung entfristet werden (betrifft als §100a StPO), die Funkzellenabfrage soll wieder umfassender ermöglicht werden (betrifft §10g) (Z 2939);
  • die Straftatenkataloge in §§100a und 100b Strafprozessordnung – sollen angepasst werden. (Z 2939, 2940) usw (Diese Liste ist keine abschließende Aufzählung aus dem Koalitionsvertrag).

Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl des Bürgers

Bleibt als Feststellung Nr. 4: Kein Bürger fühlt sich besser vor Messerattacken geschützt oder geht wieder ohne Angst auf ein Volksfest oder den Weihnachsmarkt, nur weil die Polizei potenzielle Täter hinterher abhören darf oder ähnliches. Denn keine dieser Befugnisse nach einer Tat schützt ihn/sie davor,  ermordet, vergewaltigt, auf das Schlimmste verletzt, be- raubt oder ausgeraubt zu werden.

Zumal der einigermaßen kundige Fragesteller ergänzend fragen wird:

  • Wie hoch ist die Rate der von der Polizei tatsächlich ermittelten und dingfest gemachten Täter?
  • Wie hoch ist die Rate der dann Angeklagten?
  • Und Verurteilten?
  • Und der dann tatsächlich Inhaftierten?

Eben! Wir alle kennen die Antworten. Und wissen aus ständiger Berichterstattung bzw. eigener Erfahrung auch, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte überlastet sind und – soweit es um Strafrecht geht – auch viel zu tun haben mit der Anklage und Aburteilung bereits eingeführter, anderer, wichtiger Straftaten.

Versäumen Sie nicht, diese Seite erneut zu besuchen für Teil 2, der in Kürze erscheinen wird. Darin geht es um die Ansichten der Politik, was „Innere Sicherheit“ eigentlich ist und wofür sie gut ist. Sie werden staunen über die Unterschiede, die deutlich machen, dass Bürger und Politiker von völlig unterschiedlichen Dingen sprechen, wenn sie jeweils „Innere Sicherheit“ sagen.

Teil 2: Die Forderungen der künftigen Bundesregierung an“resiliente Bürger“ mit „Bewusstsein für Selbstschutz“

Hinweis

Interessant auch ein Kommentar von Prof. Dr. Thomas Fischer, auf LTO zu vielen überlappenden Themen zum obigen Artikel: Eine Frage an Thomas Fischer Was halten Sie von den Straf­rechts­plänen im Koa­li­ti­ons­ver­trag?


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